Ich bin ja nicht nur Sketchnoterin, sondern auch Graphic Recorderin. Das heißt: Ich biete Sketchnotes und visuelle Begleitung auch als Produkt an und heute möchte ich mal einen Blick hinter die Kulissen geben.
Wenn Kunden mit Graphic Recording arbeiten wollen, ist der erste Schritt häufig die Anfrage und ein Angebot. Nicht selten kommt es dabei vor, dass Kunden überrascht sind, warum Graphic Recording so viel kostet.
Damit ist gemeint, dass laut dem Honorarwerk der Illustratoren Organisation im Durchschnitt Tagessätze von 1400 Euro normal sind.
Auf den ersten Blick scheint es nämlich, als würde man ja »nur« ein bisschen mitzeichnen, aber dass das so nicht stimmt und viel mehr dazu gehört, möchte ich heute mal an einem konkreten Auftrag von mir aufzeigen.
Meist gehört viel mehr dazu als nur die reine Netto-Arbeitszeit (= die Dauer der Veranstaltung). Ehrlicherweise muss man sagen, dass meistens mindestens die doppelte oder dreifache Zeit dazu kommt und in diesem Blogpost will ich einmal aufzeigen, was alles zu einem Graphic Recording dazu gehört.
Ich nehme in diesem Fall sogar mal ein Beispiel, bei dem ich nicht reisen muss, weil ich nicht vor Ort bin. Reisezeit ist in der Tat etwas, was eigentlich immer noch dazu gerechnet werden muss.
Aber seit Corona sind meine Lieblings-Recordings die, die ich virtuell von meinem Schreibtisch hier in Berlin machen kann. Denn mein Schreibtisch ist mein Happy Place 🙂
Fangen wir also an:
1. Anfrage & Angebot
So fängt meist alles an: Ich erhalte per E-Mail eine Anfrage, ob ich an Tag X Zeit habe. Idealerweise sind darin schon Infos zu zeitlichem Umfang der Veranstaltung, Veranstaltungsort und natürlich Inhalt der Veranstaltung enthalten.
Den letzten Punkt finde ich daher wichtig, weil ich so frühzeitig entscheiden kann, ob die Anfrage inhaltlich zu mir passt. Man kann zwar alles visuell begleiten, aber ich habe auch ein Lieblingsthemen: Bildung, Diversity, Feminismus, Gesellschaft etc.
So gebe ich auch manchmal Empfehlungen für Kolleg*innen ab, wenn ich denke, dass der Job dort thematisch besser aufgehoben ist.
Als nächstes prüfe ich, ob ich an dem Tag Kapazitäten habe und gehe in den Austausch mit dem/der Kund*in.
Häufig gibt es auch Rückfragen meinerseits: Nicht immer wird auch ein Graphic Recording gebraucht, auch wenn es angefragt ist.
Manchmal werden auch Illustrationen gesucht oder Bilder für PowerPoint Präsentationen. Das gilt es alles in der Auftragsklärung abzufragen.
Danach schreibe ich dann ein offizielles Angebot, falls das gebraucht wird – z.B. weil mehrere offizielle Angebote eingeholt werden müssen. Das mögen wir Graphic Recorder übrigens immer nicht so gerne, weil meist das Günstigste genommen werden muss und man manchmal gefühlt nur für Vergleichsangebote herhalten muss. Übrigens auch nichts, was man bezahlt bekommt.
Manchmal nenne ich aber auch nur die Kosten in einer E-Mail.
2. Auftragsklärung
Im Idealfall wird das Angebot dann angenommen und wir kommen zum Teil der Auftragsklärung.
Jetzt geht es um die Details der Veranstaltung und des Ergebnisses des Graphic Recordings (Soll es gedruckt werden oder eher für Social Media genutzt? Wie ist die Agenda der Veranstaltung? Was sind die Corporate Design Farben? Soll es live gezeigt werden oder nur in den Pausen? Technikcheck etc.)
Das macht sich am besten in einem Telefonat mit dem/der Kund*in.
In meinem folgenden konkreten Beispiel sind wir genau durch gegangen, wie die Veranstaltung aufgebaut sein wird, wann Pausen sind und das Recording gezeigt werden soll usw.
Dort berate ich auch sehr gerne und gebe Empfehlungen ab. Das sehe ich als Teil meines Jobs an.
3. Vorbereitung
Nun geht es an die Vorbereitung, das mache ich idealerweise (ähnlich wie auch den Briefingcall aus Punkt 2) am liebsten zeitlich sehr nah an der Veranstaltung.
Je näher die Vorbereitung am eigentlichen Veranstaltungstermin ist, desto besser, denn so sind die Inhalte in meinem Kopf einfach »näher«.
Ich denke und arbeite mich da gerne in die Themen ein, manchmal lasse ich mir Vorab-Infos geben. Manchmal recherchiere ich selbst. Je näher mir die Themen sind, desto weniger Recherche. Wobei ich Letzteres auch sehr mag, weil ich so immer auch neue Sachen lerne.
In meinem konkreten Beispiel war wenig Recherche nötig. Es ging um die Integration Geflüchteter Frauen in den Brandenburger Arbeitsmarkt. Mir war also klar, dass ich viele Frauen zeichnen werden würde.
Ich fragte den Kunden nach einem Key Visual für die Veranstaltung – eine Art eigenes Bildsymbol oder Logo für diese Veranstaltung. Oft gibt es keine, wobei das von der Veranstaltung abhängt. Je größer diese ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass es ein Key Visual gibt.
Am liebsten ist mir aber, wenn ich mir selbst eins ausdenken kann, so wie in diesem Fall.
3.1. Ein Key Visual zeichnen
Ich schaue mir dann die Themen der Veranstaltung und den Titel an: In diesem Fall geflüchtete Frauen mit starkem Fokus auf geflüchtete Frauen aus der Ukraine.
Also habe ich mir drei Frauen für mein Key Visual gewählt, die ich im entsprechenden Farbschema zeichne. Ich zeichne immer gerne Personen ins Key Visual, so wird alles direkt etwas lebendiger.
Hier ging es im ein Fachgespräch, also fand ich, dass Sprechblasen sich hervorragend als Rahmen eignen. Deswegen habe ich die Frauen in eine Sprechblase positioniert.
Vorab mache ich mir mit Bleistift eine grobe Skizze. Auch um zu sehen, wo die Schrift dort eigentlich gut rein passt.
Und die übernehme ich dann als Vorzeichnung aufs iPad und arbeite sie farblich aus.
3.2. Layout anlegen
In dem Zuge überlege ich mir direkt auch ein Layout, das ich anhand der Agenda grob skizziere: Was ist wie lang, was ist wie wichtig?
Dafür lege ich mir Zwischenüberschriften für die einzelnen Themenbereiche an, schreibe die Sprecherin dazu und arbeite auch hier wieder mit den Sprechblasen als Rahmen.
Es kann aber auch sinnvoll sein, eine Veranstaltung in mehrere Formate zu splitten – weil es sonst zu umfangreich und kleinteilig wird. In dieser Veranstaltung war das z.B. der Fall.
Nun muss live nur noch alles mit Inhalten gefüllt werden.
4. Live zeichnen: die Veranstaltung
Am Veranstaltungstag wird nun alles »gefüllt«. Idealerweise bin ich am Veranstaltungstag gut ausgeschlafen und habe lecker und gesund gefrühstückt – allerdings nicht zu viel, das macht träge. Aber mentale Vorbereitung auf einen Graphic Recording Job ist fast schon ein eigener Blogpost.
In diesem Fall musste ich an meiner normalen Morgenroutine nichts ändern. Die Übertragung begann 10 Uhr morgens, ich konnte also normal ins Büro gehen und mich in die Übertragung einklinken.
Da die Übertragung auf YouTube lief, ich also nicht in Zoom o.ä. dazu geschaltet wurde, war live einbinden des iPads kein Thema. Möglich wäre es aber auch gewesen, wobei ich das vorher immer gerne nochmal teste, auch wenn es besonders in Zoom meist problemlos läuft. Sicher ist sicher.
Aber hier saß ich einfach nur am Rechner und zeichne Schritt für Schritt mit. Die Zeitfenster zu jedem Punkt geben mir grob einen Anhaltspunkt dafür, wieviel an Inhalt kommt.
Nebenher mache ich mir ein paar sehr rudimentäre Notizen, wenn ich Sachen nicht vergessen und später nacharbeiten will.
Was ich immer besonders mag: Die Menschen, die an der Veranstaltung teilnehmen in das Graphic Recording einzubauen. Nicht immer als direkte Portraits. Das versuche ich sogar wenn möglich zu vermeiden.
Aber als Figuren, wie in diesem Beispiel die Busfahrerin, die sogar ein paar Mal auftaucht und damit sogar ein bisschen durch die Geschichte führt.
Solche Figuren können aber auch fiktiv sein, wie die blonde Frau, die im weitesten Sinne eine ukrainische Geflüchtete darstellt.
5. Mit Unvorhergesehenem umgehen
Es gibt trotz guter Vorbereitung (und ich werde manchmal als Streberin betitelt, weil mir persönlich das super wichtig ist) können manchmal Sachen passieren, die man nicht einplanen kann.
Was ich in dem Fall schon erlebt habe:
- Internetausfall im Büro,
- Stromausfall beim Kunden,
- Kurzfristiger Absagen einzelner Sprecher (was das Layout umwirft),
- Änderung des Konzeptes (ausschweifender Vortrag statt geplantem Workshop)
- Andere technische Probleme wie in diesem Fall:
Eine zugeschaltete Sprecherin hatte partout keinen Ton. Bzw. hatte sie Ton im Studio, aber er wurde nicht in den Stream übertragen.
Inzwischen bleibe ich selbst bei sowas locker, eine Lösung findet sich (wie auch in diesem Fall) immer. Ich leide dann eher mit den Veranstaltern, weil ich weiß, wie die im Hintergrund in dem Moment schwitzen, damit alles läuft.
Leider kam der Ton nicht wieder, der Vortrag wird nun nachträglich noch aufgezeichnet. Ich bekam zum Glück die Folien und ein paar wichtige Stichpunkte vom Veranstalter, die ich einfach nachträglich in Bilder übersetzt habe.
Das klappte überraschend gut. Bei sowas ist der einzige Nachteil, dass man die Zwischentöne nicht mitbekommt. Also hat die Sprecherin vielleicht einen der Slides besonders erwähnt? Eine längere Geschichte dazu erzählt o.ä.
Manchmal muss man sich dann eben anders behelfen.
6. Final Touches
Ich liebe am digitalen Graphic Recording sehr, dass man Sachen hin und herschieben kann. Das geht bei analogem Recording in der Tat nicht. Was da ist, ist gezeichnet und dann muss man damit umgehen.
Bei digitalem Recording auf dem iPad kann man aber auch nachträglich noch Sachen einfügen und schnell ändern.
Aber egal ob analog oder digital: Ein paar finale Striche braucht es immer noch.
Das sind hier in meinem Fall z.B. farbliche Änderungen und Hervorhebungen. Ich trete dann mit meinem Blick einen Schritt zurück und schaue nochmal genauer drauf:
- Was muss noch besser hervorgehoben werden?
- Was braucht mehr Farbe?
- Wo kann ich Sachen besser von einander trennen?
- Braucht es hier und da noch etwas Schatten?
- Gibt es vielleicht irgendwo Rechtschreibfehler?
usw.
Hier ist die Herausforderung, den Absprung zu finden: Wann ist es genug?
7. Übergabe an den Kunden und kleine Korrekturen
Danach übergebe ich alles an den Kunden. Das ist normalerweise im Digitalen sehr einfach: Procreate > als PDF oder PNG exportieren (je nachdem wie es eingesetzt werden soll) > E-Mail versenden > fertig.
Manchmal kommen dann noch kleine Änderungswünsche vom Kunden. In diesem Beispiel hatte sich z.B. ein Titel eines Vortrags im Vergleich zum Programm geändert und das war mir nicht aufgefallen.
Diese Änderungen arbeite ich dann noch ein.
In diesem Fall wünschte der Kunde sich auch noch das Entstehungsvideo, das zum Glück in Procreate automatisch immer mit einsteht. Ich habe es aber noch ein bisschen zurecht geschnitten, da ich mir z.B. gerne die Farbpalette als Bild importiere und das dann eben auch zu sehen wäre.
Und damit ist der Job dann abgeschlossen, das ist das schöne an Graphic Recordings: Das Projekt ist dann auch wirklich innerhalb eines kurzen Zeitraums fertig.
Hast du noch mehr Fragen rund um Graphic Recording? Dann immer her damit!
Willst du mit mir für eine Veranstaltung zusammenarbeiten? Dann schaue dir hier ein paar Arbeitsbeispiele an und schreibe mir.
Weiterführende Links:
Der Unterschied zwischen Sketchnotes, Graphic Recording und Illustration
Eine aktuelle Umfrage zum Beruf des Graphic Recorders aus 2024
Was VERDIENT ein Graphic Recorder in 2024?
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